FacebookXing

BLOG

Redenschreiben und Künstliche Intelligenz

 

Macht meinen Job demnächst die KI?

Lohnt es sich eigentlich noch, sich im Bereich „Redenschreiben“ weiterzubilden, oder muss ich damit rechnen, dass demnächst sowieso ChatGPT oder eine der anderen textenden KIs meinen Job macht? - So oder ähnlich lauten momentan die Sorgen von Redenschreibern und von Menschen, die welche werden wollen. - Die Überheblichkeit des Profis ist hier fehl am Platz: die Ergebnisse der KI sind oft besser als mancher vermutet, der die Tools noch nicht ernsthaft ausprobiert hat!

 

Ein Experiment

Ein leicht nachzuvollziehendes Experiment lässt sich zum Vergleich heranziehen: Wer selbst kein Grafik-Design-Studium absolviert hat, wird mit geringem Aufwand geradezu atemberaubende Ergebnisse mit einer der bildgenerierenden KIs wie zB Dall-E2 erzielen. Die meisten dieser Ergebnisse erstaunen auch den Kundigen, führen aber nicht zur großen Begeisterung wie beim grafischen Laien: Fachleute erkennen schnell Fehler, die dem Unkundigen zunächst verborgen bleiben. Aber auch der Laie entdeckt bei näherer Betrachtung schnell Ungereimtheiten und Fehler: so tut sich die KI meistens schwer mit Händen und Gesichtern in Menschengruppen oder baut eigenständig Anachronismen in Bilder ein, wie zB eine Brille beim Gespräch antiker Philosophen.

Ähnlich ist es momentan auch bei Texten: manche Ergebnisse sind auf den ersten Blick erstaunlich gut, manche auch noch auf den zweiten und dritten Blick. In aller Regel ist das Ergebnis aber nur so gut wie der so genannte „Prompt“: das Briefing der KI durch den Nutzer. Wer nicht weiß, worauf es bei einer Rede und beim Redenschreiben ankommt, wird die Maschine nicht mit den Informationen füttern können, die die besten Ergebnisse hervorbringen. Wer sich im Thema nicht auskennt, wird die Text-Ergebnisse nicht professionell beurteilen können. Auch die Maschine muss unter Anleitung ihre Texte mehrfach überarbeiten, bis das Ergebnis die entsprechende Qualität hat.

 

Die Maschine lügt

Keinesfalls darf man sich auf die ersten Ergebnisse von ChatGPT und Co blind verlassen: die Maschine lügt. Nicht immer, aber oft dort, wo sie keine oder nur wenige Informationen vorfindet. Ergebnisse sind immer nur so gut, wie die Informationen in der Datenbank. Liegen keine vor, fängt die KI oft an zu spinnen: das fällt insbesondere bei biographischen Daten auf, die sich im Zweifelsfall schnell überprüfen lassen, passiert aber auch bei wissenschaftlichen Theorien, wie ich mehrfach feststellen musste.

 

Wie also mit der KI umgehen?

Ignorieren hilft nicht! - Die Text-Ergebnisse sind heute schon überraschend gut und werden in den nächsten Monaten und Jahren sicher noch deutlich besser. Schon heute nutzen viele Texter die KI, um Arbeitsabläufe zu verkürzen und ihre Produktivität massiv zu steigern. Wenn Du sie nicht besiegen kannst, mach sie zu Deinem Freund!

ChatGPT und Co können dem Redenschreiber gute Dienste bei der Situations- und Publikumsanalyse leisten. Um hier zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen, muss ich allerdings wissen, wonach ich fragen kann: allgemeine Prompts erzeugen allgemeine Antworten.

Auch als Ideenlieferant kommt die KI in Frage: sie liefert klaglos eine Struktur nach der anderen, generiert auf Anforderung verschiedene Textideen oder sogar Lösungen für schwierige rhetorische und politische Probleme und kann auch zur Überarbeitung und sogar zur Übersetzung herangezogen werden.

Überraschenderweise kann ChatGPT sogar Humor auf einem erstaunlichen Niveau, ebenso ist es in der Lage, eine Rede mit Stilmitteln zu versehen. Es hilft bei der Analyse und bei der Produktion.

 

Gute Ergebnisse verlangen nach guten Prompts

Stand heute bedarf es sowohl menschlicher Anleitung als auch menschlicher Kontrolle, um die KI für professionell nutzbare Redetexte einsetzen zu können. Moderne Redenschreiber sollten auf dieses Hilfsmittel nicht verzichten, denn es nimmt ihnen viele zeitraubende Tätigkeiten ab und hilft sowohl den persönlichen Output als auch die Qualität der Texte zu erhöhen.

Beides setzt voraus, dass man weiß, was man tut! Zu überzeugenden Ergebnissen, die vor kundigen Augen und Ohren Bestand haben, kommt nur derjenige, der weiß, wonach er fragen muss. Die Qualität von Texten kann nur derjenige beurteilen, der weiß worin selbige besteht.

 

Neben dem rhetorischen Handwerkszeug bedarf es vor allem der Kenntnis, wie ein zielführender Prompt aufgebaut sein sollte: je mehr Kontext die Maschine bekommt, umso besser meistens das Ergebnis. Und dann heißt es: selbst Hand anlegen! - Es ist nicht nur eine Frage kreativer Redlichkeit, dass Texter und Schreiber die vorproduzierten Ergebnisse überarbeiten, sondern immer auch eine Frage von Kontrolle und Qualität. Nach wie vor sind viele der KI-Texte noch reichlich hölzern.

 

Renaissance der freien Rede?

Fraglich ist, wie sich unsere sprechsprachliche Kultur im Angesicht der KI weiterentwickeln wird. Werden Menschen in der Zukunft noch Lust haben, sich von einem Menschen mehr schlecht als recht vorgetragene Texte anzuhören, von denen man annehmen muss, dass sie von einer Maschine verfasst wurden? Vielleicht werden wir eines Tages wieder so arbeiten, wie unsere Vorbilder in der Antike - die griechischen Logographen haben Reden nicht nur entworfen, sondern diese mit ihren Kunden oftmals auch eingeübt. -

Möglicherweise stehen wir vor einer Renaissance der freien Rede und des Sprechdenkens. Dann würden moderne Redenschreiber zwar Fakten recherchieren und Grundgerüste zu Reden liefern - am Ende des Tages aber muss der Redner seine Rede vielleicht wieder frei halten - aus Sicht des Publikums sicher nicht die schlechteste Lösung!